Mehr über TIPP

TIPP beruht gewissermaßen auf einem Zoom-Effekt. Dieser ist vergleichbar mit Google Earth® oder mit dem Blick aus einem Raumschiff auf die Erde, auf der die zu erforschenden Kontinente, Flüsse und Städte sichtbar sind. Einer Kamera gleich entfernt sich das um das Erkennen von größeren Zusammenhängen bemühte Auge immer weiter von Zeiten, umgangssprachlichen und fachspezifischen Begriffen. Es verweilt bei einer raum-zeitlichen Distanz, in der markante und bedeutungsvolle Elemente des vergangenen, gegenwärtigen und künftigen Lebenslaufs der Patientinnen in ihrem Zusammenwirken auf einen Blick darstellbar sind. Besondere Symbole markieren bedeutsame Elemente des inneren Erlebens des Menschen in ihrer zeitlichen Abfolge, links in negativer und rechts in positiver Variante.

Die Art einer ganzheitlichen Betrachtungsweise knüpft an philosophische Betrachtungsweisen der Antike, an buddhistische und gestalttheoretische Erkenntnisse an. Dem Phänomen der Zusammengehörigkeit von Teilen und Ganzem begegnen Psychotherapeuten in ihrer alltäglichen Praxis. Sie sind immer wieder mit der Tatsache konfrontiert, dass zur Überwindung einer maladaptiven Erlebnisweise vielerlei wechselseitig voneinander abhängige Entwicklungen auf kognitiver, emotionaler, physiologischer und motorischer Ebene zu gestalten sind. Alte Muster des Erlebens bleiben lange erhalten und sind anscheinend nur gegen eine gewisse Schwerkraft in neue Muster, eine neue Gestalt, zu überführen.
Perspektivwechsel bahnen den Weg zu neuen kognitiv-emotionalen Mustern und einer neuen ganzheitlichen Gestalt des Erlebens. TIPP fügt der subjektiv stimmigen, aber maladaptiven Gestalt, die für den Klienten im Vordergrund seines Erlebens steht, die im Hintergrund der Wahrnehmung befindlichen potentiellen adaptiven Erlebnismöglichkeiten hinzu. An der vertikalen Mittelachse spiegelt sich eine alternative (grüne) Reaktionsweise auf ähnliche situative Reize.

Unter Einbezug der positiven Psychologie gilt das Augenmerk in der von TIPP inspirierten oder begleiteten Psychotherapie somit von Beginn an nicht nur den kranken Anteilen des Klienten, sondern auch den salutogenetischen Aspekten. Diese werden zeitgleich in Ergänzung der Pathogenese erhoben und in TIPP auf der rechten (grünen) Seite verzeichnet. So ergibt sich für Klient und Therapeut eine komplexe Gestalt, die gleichermaßen dysfunktionale (rote) und funktionale (grüne) Komponenten ins Blickfeld rückt.
TIPP bietet Therapeuten und Klienten eine Art farbiger Landkarte zum Erkennen bestimmter Muster des Erlebens, zur Orientierung über dessen Ursachen und Auswirkungen. Diese Orientierung ist hilfreich zur Kontrolle des Weges bei der Verfolgung von Therapie- und Lebenszielen. Orientierung und Kontrolle zählen, z.B. nach Epstein (1990) und Grawe (2004) zu den Grundbedürfnissen des Menschen. Diese beiden Basiselemente tragen ebenso wie eine vertrauensvolle Beziehung beträchtlich zum guten Gelingen des Therapieprozesses bei.
Das von mir regelmäßig in der Therapie genutzte Modell zeigt einen Menschen auf der Waage, der im Lebensalltag damit beschäftigt ist, die Gewichte zu justieren und seine Lebensbalance wieder zu erlangen. Zudem sind entsprechend des kognitiv-verhaltenstherapeutischen Zuganges (z.B. Beck, A., 1976; Beck, J., 1999, Hautzinger, 2003) adaptive und maladaptive Kognitionen (Wellen) verzeichnet. Diese können ebenfalls die Schieflage der Waage aufrecht erhalten, indem sie die Aufmerksamkeit bannen und negative Aspekte mehr ins Gewicht fallen.

Wegweisend zur weiteren Entwickung des Bildes TIPP war zudem die Beobachtung, dass die Vielfalt der differenzierten psychotherapeutischen Erkenntnisse und Handlungsanleitungen für Therapeuten zunehmend unübersehbar wird. Manchen Therapeuten liegt eine strenge Treue zu einem Psychotherapieansatz nahe, während andere sich pragmatisch eklektisch ihr psychotherapeutisches Handwerkszeug aneignen. Standardlösungen wie diagnosespezifische Manuale werden nicht selten als zu einengend empfunden oder angesichts der komplexen Problematiken im Leben der Klienten als unzureichend oder undurchführbar erlebt. Diese stehen jedoch meist unverbunden nebeneinander und konkurrieren nicht selten in ihren Geltungsansprüchen.
TIPP beschreitet einen anderen Weg: Es bietet eine Projektionsfläche zur übersichtlichen Darstellung zentraler Bestimmungspunkte diverser Therapieansätze.

Im Buch wird gezeigt, wie sich die folgenden, gegenwärtig vielbeachteten und häufig genutzten verhaltenstherapeutischen Ansätze mit ihren zentralen Komponenten auf die Projektionsfläche TIPP transponieren lassen:

- Multimodale Therapie nach Arnold A. Lazarus 
- Konsistenztheorie und Plananalyse nach Klaus Grawe und Franz Caspar 
- Kognitive Therapie der Depression nach Martin Hautzinger 
- Psychotherapie der chronischen Depression (CBASP) nach James P. Mc Cullough, Jr.
- Schematherapie nach Young et al.
- Akzeptanz- und Commitment-Therapie (ACT) nach Steven Hayes et al. 
- Dialektisch-Behaviorale Therapie (DBT) nach Marsha Linehan 
Als weitere Therapieansätze werden 
- Psychoanalyse und Psychodynamische Therapie 
- Klientenzentrierte Gesprächspsychotherapie
- Gestalttherapie 
- Emotionsbezogene Psychotherapie


Die bedeutenden psychotherapeutischen Konstrukte werden im Buch auf der Projektionsfläche TIPP zusammengeführt und können bezüglich ihres Wirkungsspektrums visuell verglichen werden.